Dienstag, 31. Juli 2018

Nachdem das OLG Schleswig den zuvor ergangenen Beschluss des LG Lübeck aufgehoben hatte, wurde nunmehr nachfolgender Beschluss erwirkt, mit dem die Anordnung der Unterbringung in  der Sicherungsverwahrung zur Bewährung ausgesetzt wurde.
Dieser Beschluss sei hier auszugsweise und teilgeschwärzt wie folgt wiedergegeben und ist noch nicht rechtskräftig.

5StVK77/16

746 Js 24868/14 V 82 StA Lübeck

5 StVK 32/17

746 Js 24868/14 V 82 StA Lübeck

Beschluss

In den Strafvollstreckungssachen

betreffend

A.

geb. am x  in Lübeck,

zurzeit in der Justizvollzugsanstalt Fuhlsbüttel,

Sicherungsverwahrung

Suhrenkamp 92,22335 Hamburg

Verteidiger:

Rechtsanwalt Dipl.-Jur. Till-Alexander Hoppe, Königsweg 20, 24103 Kiel

hat die Strafvollstreckungskammer 5 des Landgerichts Lübeck am 13. Juli 2018 beschlossen:

1.

Die Vollstreckung der mit Urteil des Landgerichts Lübeck vom 16. Februar 2015 angeordneten Unterbringung in der Sicherungs-verwahrung wird zur Bewährung ausgesetzt.

2.

Es tritt Führungsaufsicht ein.

3.

Bewährungs- und Führungsaufsichtszeit dauern fünf Jahre.

4.

Der Verurteilte wird der Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers/einer Bewährungshelferin unterstellt.

5.

Der Verurteilte wird angewiesen,

a)

sich unverzüglich nach Entlassung bei seinem Bewährungshelfer/seiner Bewährungshelferin persönlich vorzustellen;

b)

nach der Ausreise in die Türkei sich mindestens einmal im Monat telefonisch bei seinem Bewährungshelfer/seiner Bewährungshelferin zu melden.

c)

Der Strafvollstreckungskammer seine Adresse und jede zukünftige

Wohnsitzänderung unverzüglich mitzuteilen.

6.

Die Belehrung des Verurteilten über die Bedeutung von Bewährung

und Führungsaufsicht wird der Justizvollzugsanstalt übertragen.

7.

Die Kosten des Verfahrens einschließlich des Beschwerdeverfahrens

sowie   die   notwendigen   Auslagen   des   Verurteilten   trägt   die Staatskasse.

Gründe:

I.                     (…)

II.

Die Vollstreckung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung musste zur Bewährung ausgesetzt werden,  da dem Verurteilten während  der  Strafhaft keine  ausreichende

Betreuung im Sinne des § 66 c Abs. 2 i.V.m. § 66 c Abs. 1 Nr. 1 StGB angeboten worden ist, § 67 c Abs. 1 Nr. 2 StGB.

§ 66 c Abs. 1 Nr. 1 sieht vor, dass dem in der Sicherungsverwahrung Untergebrachten auf der Grundlage einer umfassenden Behandlungsuntersuchung und eines regelmäßig fortzuschreibenden Vollzugsplans eine Betreuung anzubieten ist, die individuell und intensiv sowie geeignet ist, seine Mitwirkungsbereitschaft zu wecken und zu fördern, insbesondere eine psychiatrische, psycho- oder sozialtherapeutische Behandlung, die auf den Unterge­brachten zugeschnitten ist, soweit standardisierte Angebote nicht erfolgversprechend sind, und die zum Ziel hat, seine Gefährlichkeit für die Allgemeinheit so zu mindern, dass die Vollstreckung der Maßregel möglichst bald zur Bewährung ausgesetzt oder für erledigt erklärt werden kann.

§ 66 c Abs. 2 bestimmt, dass dem Verurteilten schon während des Strafvollzugs eine Betreuung in diesem Sinne, insbesondere eine sozialtherapeutische Behandlung, anzubieten ist.

Diesen Anforderungen genügen die dem Verurteilten in der JVA Lübeck gemachten Angebote nicht. Eine sozialtherapeutische Behandlung ist ihm definitiv nicht angeboten worden. Vielmehr ist sein entsprechender Antrag abgelehnt worden. Die Ablehnung ist bereits für sich genommen rechtsbedenklich. Zur Begründung der Ablehnung hat die JVA ausgeführt, dass die "schwankende, undurchsichtige Motivation sowie der unklare ausländerrechtliche Status" gegen eine Verlegung in die Sozialtherapie sprächen. Auf die zweite Erwägung durfte die JVA die Ablehnung nicht stützen. Sie durfte nicht davon ausgehen, dass die einmal begonnene Sozialtherapie wegen einer möglichen Abschiebung des Verurteilten nicht würde beendet werden können. Denn ob die Staatsanwaltschaft von der Möglichkeit des § 456 a StPO Gebrauch machen würde, war völlig unklar. Die JVA musste deshalb ihrer Entscheidung die Annahme zugrunde legen, dass die Strafe vollständig vollstreckt würde und hätte zu bedenken gehabt, dass im Anschluss die Sicherungsverwahrung angeordnet war. Sie hätte deshalb nach der gesetzgeberischen Wertung des § 66 c Abs. 2 StGB bei ihrem Behandlungsangebot in erster Linie in den Blick nehmen müssen, dass die Vollstreckung der Maßregel möglichst unterbleiben sollte. Dass einer sozialtherapeutischen Behandlung dabei besondere Bedeutung zukommt, ist ausdrücklich gesetzlich geregelt.

Rechtsbedenklich ist ebenfalls, dass die JVA für die Ablehnung die schwankende und undurchsichtige Motivation des Verurteilten ins Feld geführt hat. Dabei kann offen bleiben, ob die Aussage des Verurteilten zutreffend ist, dass ihn der Zeuge N. zunächst zur

Rücknahme des Antrags auf Verlegung in die Sozialtherapie geraten habe, da er ohnehin abgeschoben werde. Dies liegt allerdings auch nach der Aussage des Zeugen N. ("Das werde ich nicht gesagt haben") keinesfalls fern. Es wäre nämlich jedenfalls Aufgabe der JVA gewesen, eine Therapiebereitschaft beim Verurteilten zu wecken. So hat die Sachverständige Dr. D.  ausgeführt, dass es der Aufnahme in der Sozialtherapie zwar grundsätzlich entgegenstehe, wenn keine ausreichende Motivation vorhanden sei. Diese könne jedoch in - gegebenenfalls mehreren - Vorgesprächen geweckt werden. Dies hat die JVA versäumt. Eine Aufnahme in die sozialtherapeutische Abteilung war auch nicht vor dem Hintergrund der nur kurzen Haftzeit von vornherein kontraindiziert. Denn die dortige sozialtherapeutische Behandlung hätte gegebenenfalls über das Strafende hinaus fortgesetzt werden können, indem mit Zustimmung des Verurteilten die Siche­rungsverwahrung weiter in Lübeck hätte vollstreckt werden können. Dass intensiv versucht worden ist, eine Therapiemotivation hinsichtlich der Sozialtherapie beim Verurteilten zu wecken, ergibt sich nicht aus den Stellungnahmen der JVA und den Aussagen der gehörten Zeugen. Dabei ist in § 66 c Abs. 1 Nr. 1 a StGB ausdrücklich vorgesehen, dass dem Verurteilten eine Betreuung anzubieten ist, die geeignet ist, seine Mitwirkungsbereitschaft zu wecken.

Selbst wenn die Ablehnung der Aufnahme des Verurteilten in die Sozialtherapie rechtmäßig erfolgt sein sollte, hätte die JVA trotzdem nicht ihrer Verpflichtung aus § 66 c Abs. 1 Nr. 1 StGB genügt Sind nämlich standardisierte Angebote nicht erfolgversprechend, so ist dem Verurteilten eine auf den Untergebrachten zugeschnittene Behandlung anzubieten. Dies ist nicht geschehen. Das Anbieten therapeutischer Einzelgespräche war insofern nicht ausreichend. Diese waren in keiner Weise mit einer Behandlung in der Sozialtherapie, die sowohl die Zeugin M. als auch die Sachverständige Dr. D.  als "non plus ultra" bezeichnet haben, vergleichbar. Denn ein klares therapeutisches Konzept für diese Gespräche war nicht ersichtlich. Nach der Aussage der Zeugin M. liegt nahe, dass der Inhalt der Therapiegespräche letztlich allein von den Wünschen des Verurteilten abhing. Auch das Anbieten der Teilnahme an der Motivationsgruppe für potentielle Sicherungsverwahrte war nicht ausreichend. In dieser Gruppe war nämlich auch kein klares therapeutisches Konzept vorgegeben. Vielmehr oblag es den Teilnehmern, die Inhalte zu bestimmen. Zwar mag es sein, dass im Einzelfall auch therapeutische Deliktsbearbeitung in der Gruppe stattfindet. Zwingend ist dies jedoch nach der Aussage der Zeugin M. nicht.

Nach Ablehnung der Aufnahme in der Sozialtherapie hätte es vielmehr nahe gelegen, dem Verurteilten gemeinsame Therapiesitzungen mit seiner Lebensgefährtin Frau B. anzubieten. Auch ein Langzeitbesuch wäre sicher wünschenswert gewesen. Denn die Begehung  der Anlassdelikte hing gerade auch mit Frustration des Angeklagten in der Beziehung zusammen. Für die Bearbeitung dieser Problematik hätten sich gegebenenfalls gemeinsame Therapiesitzungen mit der Lebensgefährtin angeboten. Dies entspricht jedenfalls auch der Einschätzung der Psychologin M..

Da die dem Untergebrachten angebotene Behandlung somit nicht den gesetzlichen Vorgaben genügte, war die Vollstreckung der Maßregel gemäß § 67 c Abs. 1 StGB zur Bewährung auszusetzen. Auf die nach wie vor negative Legalprognose kommt es für die Aussetzung nicht an. Lediglich überragende Sicherheitsgesichtspunkte können einer Aussetzung entgegenstehen. Solche liegen derzeit nicht vor. Die Gefährlichkeit des Verurteilten hat sich vielmehr durch seine, wenn auch derzeit nur unter den strukturierten Bedingungen der Unterbringung bestehenden, Abstinenz von Rauschmitteln nach Einschätzung der Sachverständigen Dr. D.  vermindert.
(…)


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